Das alte und das neue wortgut

DER DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE

Wortschatz ist ein offenes dynamisches System, das sich ständig durch neue Wörter (Neologisierung) und Veralten der einigen Lexeme (Archaisierung) verändert.

Archaismen sind Wörter, die aus irgendeinem Grund veraltet werden. Zu Archaismen gehören auch veraltete grammatische oder phonetische Formen des Wortes.Es werden folgende Arten der veralteten Wörter unterschieden:

a) semantische Archaismen – Wörter, die im heutigen Sprachgebrauch durch neuere Synonyme ersetzt werden, z. B.: Minne (Liebe), Gewand (Kleid), Antlitz (Gesicht);

b) Historismen (Begriffsarchaismen) – Wörter, die Begriffe der früheren historischen Epochen bezeichnen, z. B.: Hanse, Fronhof, Ablaßhandel, Armbrust, Minnisänger, Federkiel;

c) Formarchaismen (lautlich-morphologische Archaismen) –Wörter und Wendungen, deren grammatische oder lautliche Form durch ihre eigenen Varianten verdrängt ist, z. B.: Turnei (Turnier), Wittib (Witwe), gülden (golden), auf Erden (auf Erde), kräftlich (kräftig).

Neologismen sindzu einem bestimmten Zeitpunkt entstandene neue Wörter, die eine neue Erscheinung, einen neuen Gegenstand bezeichnen. Sie entstehen durch Bedeutungswandel, Entlehnung oder Wortbildung. Mit den Problemen der Lexikographie der Neologismen beschäftigt sich solche Teildisziplin als Neologie.

Traditionell werden Neologismen in zwei Gruppen aufgeteilt: sprachliche (allgemeine, lexikalische) und stilistische Neologismen (Autorenneologismen). R. Klappenbach und W. Steinitz unterscheiden folgende Typen der Neologismen:

a) Neuwörter, die in der Sprache neu aufgekommen sind. Es sind Entlehnungen (z. B. aus dem Engl.: Trendmodem, user, Multiplex, Xerox, Internet), Abbreviaturen (PR, PC, BAFÖG, WWW);

b) Neuprägungen, die aus schon bestehenden Wörtern neu geschaffen wurden, z. B.: brandeilig, Scheidungsboom, Cybercafé, textbar;

c) Neubedeutungen sind solche Wörter, die zusätzlich neue Bedeutungen annehmen, z. B.: Renner (besonders populäre Ware), Allergie (Antipathie), Adresse (E-Mail Adresse).

Fragen zur Selbstkontrolle:

1. Definieren Sie den Archaismus und nennen Sie seine Arten.

2. Was wird unter dem “Historismus” verstanden?

3. Was versteht man unter “Formarchaismen”?

4. Definieren Sie den Neologismus und nennen Sie seine Arten.

5. Was wird unter dem “Neuwort” und unter der “Neuprägung”verstanden?

6. Was kann man als “Neubedeutung” bezeichnen?

7. Wodurch unterscheiden sich das Neuwort, die Neuprägung und die Neubedeutung voneinander?

 

ENTLEHNUNGEN

Entlehnung ist die Übernahme fremder Wörter aus einer Sprache in die andere.

Die deutsche Sprache wurde durch zahlreiche Entlehnungen aus vielen Sprachen bereichert (aus dem Keltischen, Lateinischen, Französischen, Italienischen, Englischen, Spanischen, Portugiesischen, Türkischen und aus den slawischen Sprachen).

Geschichte der Entlehnungen in der deutschen Sprache:

– die deutsche Sprache hat viele Lehnwörter und Fremdwörter aus der altgriechischen und der lateinischen Sprache übernommen. Starke Einflüsse des Lateinischen sind besonders in der Römerzeit (50 v. Chr. – 5. Jh. n. Chr.) und im Mittelalter zu beobachten. Beispiele der lateinischen Entlehnungen sind: Kampf (lat. campus), Pfeffer (lat. piper), Käse (lat. caseus), Tisch (lat. discus), Spiegel (lat. speculum), Küche (lat. coquina) und andere;

– im 17. und 18. Jh. herrscht französischer Einfluss, zu den aus dem Französischen entlehnten Wörtern gehören: die Allee, das Café, der Chirurg, der Cousin, die Dusche, die Etage, das Hotel, die Sauce, die Chance und andere;

– im 19. und 20. Jh. herrscht englische Wortschatzerweiterung, die Beispiele dafür sind: Bodybuilding,Junk-Food, Toast, Jackpot, Tablet, Screen, Slogan, tunen und andere.

Sozial-historische Ursachen der Entlehnung umfassen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Einfluss anderer, höher entwickelter Länder. Zu linguistischen Ursachen der Entlehnung zählen:

a) Entwicklungszustand des deutschen semantischen Systems in einer bestimmten Zeitperiode;

b) Lückenauffüllung thematischer Reihen und semantischer Gruppen;

c) Neutralisierung der übermäßigen Polysemie;

d) Bedarf an Terminologischer Lexik;

e) Mangel an euphemistischer Lexik.

Es werden zwei Arten der Entlehnung unterschieden:

a) Sach- und Wortentlehnung – Denotate (die für das entlehnende Land neue Gegenstände oder Erscheinungen der Wirklichkeit) werden zusammen mit den Formativen (Lautkörpern) übernommen;

b) Wortentlehnung – Denotate sind für das entlehnende Land bekannt, deswegen werden nur Wörter übernommen.

Nach der Entlehnungsform unterscheidet man:

1) einfache (formale)Entlehnung – einfache Übernahme des fremden Wortes, z. B.: Kolchos, Sputnik, Bodybuilding, Bungalow, Pizza, Saison;

2) Lehnprägung (Lehnbildung) – Entlehnung aus anderen Sprachen im Rückgriff auf die in der Nehmersprache vorhandenen Wörter oder Wortstämme. Es gibt drei Unterarten der Lehnprägung:

· Lehnübersetzung (die sogenannte “Glied-für-Glied-Übersetzung” nach Th. Schippan) – die morphematische Struktur der Fremdwörter wird nachgebildet, z. B.: Großvater (franz. grand-père), Gehirnwäsche (engl. Brainwashing), A ußenseiter (engl. Outsider), Wandzeitung (russ. cтенгазета), Eindruck (lat. impressio);

· Lehnübertragung besteht in freier Wiedergabe der Morphemstruktur der entlehnten Wörter, z. B.: Wolkenkratzer (engl. Skyscraper, wörtlich aber Himmelskratzer); Bestarbeiter (russ. oтличник);

· Lehnbedeutung – das schon vorhandene deutsche Wort bekommt eine zusätzliche Bedeutung, z. B.: Aktiv bedeutete früher nur “Tatform des Verbs”, heute aber unter dem Einfluss des russischen Wortgebrauchs auch “Arbeitsgruppe”; das deutsche Fall nahm unter lateinischem Einfluss die grammatische Bedeutung “Kasus” an.

Man unterscheidet auch Internationalismen – Wörter, die in mehreren Sprachen in gleicher Bedeutung verwendet sind und sich an Morphematik und Orthographie der aufnehmenden Sprachen anpassen, z. B.: Politik, Student, Grammatik, Revolution, Musik, Telefon.

Die Entlehnungen assimilieren sich im Deutschen auf phonetischer, morphologischer und orthographischer Ebenen. Die Wörter Straße (lat. Strata) und Münze (lat. Moneta) wurden phonetisch assimiliert. Bei der morphologischen Assimilation geht es um den Artikel, Mehrzahlformen, Kasusflexionen, Verbalsuffixe, Verbflexionen. Dank der orthographischen Assimilation werden Substantive großgeschrieben, einige fremde Buchstaben und Buchstabenverbindungen werden durch ähnliche deutsche ersetzt, z. B.: Kaffee (franz. Cafe), Schef (engl. Chef).

Nach dem Grad der Assimilation werden drei Stufen unterschieden:

a) Vollständige Assimilation – wenn die fremde Herkunft des Wortes nicht mehr ausgeprägt ist, z. B.: Tisch, Tanz, Fenster;

b) unvollständige Assimilation – wenn die fremde Herkunft des Wortes ist noch deutlich erkennbar (einige orthographische oder phonetische Besonderheiten, Wortbetonung, fremde Affixe), z. B.: Observatorium, Fabrik, Student, Villa;

c) völlig unassimilierte Wörter – Fremdwörter in unveränderter Form, z. B.: nota bene, pars pro toto.

Die Sprachreinigungsbewegung, die fremde Wörter bekämpft, wird Purismus genannt. Die erste deutsche Sprachgesellschaft, die Fremdwörtern entgegenwirkte, war die “Fruchtbringende Gesellschaft” (1617–1680, lat. societas fructifera). Es folgten später weitere Sprachgesellschaften mit ähnlichen Zielen und in der Folge kam es zu Eindeutschungen einiger lateinischer und französischer Begriffe.

Vom Schriftsteller Philipp von Zesen (1619 – 1689) stammen die Begriffe Abstand (Distanz), Bücherei (Bibliothek), Augenblick (Moment), Leidenschaft (Passion), Anschrift (Adresse), Lustspiel (Komödie), Mundart (Dialekt), Rechtschreibung (Orthographie), Verfasser (Autor). Erfolglos blieben dagegen Wortschöpfungen wie Zeugemutter (Natur), Entgliederer (Anatom).

Auf den Schriftsteller Joachim Heinrich Campe (1746 – 1818) gehen Wörter wie Erdgeschoss (Parterre), Hochschule (Universität), Zerrbild (Karikatur), Mannweib (Amazone) zurück. Andere Vorschläge konnten sich dagegen nicht durchsetzen, etwa Geistesanbau (Kultur), Zwischenstille (Pause), Lotterbett (Sofa), Zitterweh (Fieber), Menschenschlächter (Soldat).

In der Gegenwart fühlt sich kaum jemand dem Sprachpurismus verpflichtet. Diese Bezeichnung ist heute ein Anachronismus. Doch wenden sich die Sprachpflegevereine gegen die häufige Verwendung von Anglizismen und ersetzen diese durch deutsche Wörter, wie zum Beispiel das Wort Weltnetz für Internet. Zum Teil kommt es zur Bildung von Scheinanglizismen (Handy, Oldtimer, Hometrainer), zum anderen verdrängen Anglizismen schon vorhandene Bezeichnungen (CD-Player statt CD-Spieler); schließlich werden auch einige Wörter erfolgreich eingedeutscht (herunterladen für engl. download).

 

Fragen zur Selbstkontrolle:

1. Was wird unter dem Begriff “Entlehnung” verstanden?

2. Nennen Sie die Arten der Entlehnung.

3. Welche Formen der Entlehnung unterscheidet man?

4. Wodurch unterscheiden sich formale Entlehnung von der Lehnprägung?

5. Welche Arten der Assimilation kennen Sie, was wird darunter verstanden?

6. Erklären Sie die linguistischen Ursachen der Entlehnung.

7. Nennen Sie die sozial-historischen Ursachen der Entlehnung.

8. Aus welchen Sprachen sind besonders viele Wörter im Deutschen entlehnt?

9. Geben Sie eine Klassifikation der entlehnten Lexik im Deutschen an?

10.  Was wird unter dem Begriff “Purismus” verstanden? Führen Sie Beispiele der Sprachreinigungsversuche.

 

WORTBILDUNG

Der Begriff Wortbildung wird als Wortbildungslehre verstanden. Zugleich ist es ein Prozess der Schöpfung neuer Wörter aus in der Sprache bereits vorhandenen fertigen Stämmen, Wurzeln, Suffixen oder Präfixen auf Grund bestimmter Regeln und Modellen.

Bei der Wortbildungsanalyse sind folgende Begriffe von Bedeutung:

Die Wortwurzel – die kleinste semantisch vollwertige und morphologisch unteilbare Einheit, dient als Hauptträger der Wortbedeutung. Die Wurzel kann auch als Ganzwort auftreten, z. B.: Mann, Sohn, gern, hier, fünf.

Die Flexion – bezieht sich auf die Prozesse, welche die verschiedenen Formen desselben Lexems erklären. Flexionsprozesse signalisieren grammatische Beziehungen wie z.B. Numerus, Tempus, Genus etc., sie beeinflussen nicht die lexematische Identität der Wörter. Vgl.: das Haus, des Haus es (G., sg.), der Häus er (G., pl.). 

Der Wortstamm – der Teil eines Wortes, an den die Flexionsaffixe angefügt werden. Er kann nur aus einem einzigen Wurzelmorphem bestehen (ein einfacher Stamm wie, z. B. Frau), oder aus zwei Wurzelmorphemen (ein zusammengesetzter Stamm wie in Fahrkarte),oder aus einem Wurzelmorphem plus einem Derivationsaffix (ein komplexer Stamm wie in freundlich oder Freundlichkeit). Von einem Stamm sprechen wir also nur im Zusammenhang der Flexionsmorphologie (Konjugation, Deklination).

Wortbildende Affixe – Suffixe und Präfixe, die keine selbständige Bedeutung haben.

Wortbildungsarten sind die Hauptverfahren bei der Bildung neuer Wörter. Innerhalb dieser Arten haben sich bestimmte Wortbildungsmodelle herausgebildet, d. h. stabile Strukturen, die über eine verallgemeinerte lexikalisch-kategoriale Bedeutung verfügen. Diese Strukturen können mit verschiedenem lexikalischem Material ausgefüllt werden. Als Wortbildungsmittel dienen nicht nur verschiedene Affixe sondern auch die sogenannte “ innere Flexion ” – historischer Lautwechsel, Ablaut, Umlaut, Brechung.

Der Ablaut ist der regelhafte Vokalwechsel in Wörtern des gleichen Lexems, der nicht phonologisch konditioniert ist, wie z. B. bei vielen starken Verben: singen ~ sang ~ gesungen, finden ~ fand ~ gefunden. Der Ablaut ist vom Umlaut zu unterscheiden.

Der Umlaut ist eine Vokalalternation zwischen verwandten Vorderzungen- und Hinterzungenvokalen, die (zumindest historisch betrachtet) phonologisch konditioniert ist – regressive Assimilation unter dem Einfluß von /i, j/ in der Folgesilbe. Beispiele: Mutter ~ Mütter, Vogel ~ Vögel.

DieBrechung (a-Umlaut) bezeichnet in der Historischen Linguistik verschiedene assimilatorische Vokalveränderungen.

Die Wortbildungsbedeutung ist die Bedeutung des Wortbildungsmodells, die in einem bestimmten Wort realisiert wird, z. B.: Lehrer (- er bezeichnet handelnde Person), Bächlein (- lein ist Diminutivum), Bäckerei (Suffix - ei bestimmt den Ort der Handlung).

Das Wortbildungsnest besteht aus den Wörtern, die nicht nur etymologisch (Wortfamilie), sondern auch semantisch verbunden sind, z. B.: das Verb fahren ist das Zentrum im folgenden Wortbildungsnest – Fahrer, Fahrt, fahrbar, befahren, abfahren.

Die Wortbildungskonstruktion (WBK) ist ein Komplex aus verschiedenen Morphemen, der zum Nominationszweck dient. Es werden zwei Arten der Stämme unterschieden: der primäre Stamm ist das motivierende Wort, das die Entstehung einer WBK strukturell und semantisch prägt; der sekundäre Stamm ist ein Wort, das infolge des Wortbildungsprozesses entstanden ist.

Es werden drei Methoden der Wortbildungsanalyse unterschieden:

1. Im Rahmen der Morphemanalyse zerfällt das Wort in zwei oder mehrere Morpheme, d. h. kleinsten Bedeutungstragenden Bestandteile eines komplexen Wortzeichens, z. B.: lang-frist-ig, ver-schreib-en.

2. UK-Analyse (von L. Bloomfield vorgeschlagen) besteht in Zerlegen des Wortes in unmittelbare Konstituenten, z. B.: Schreib-tisch, Beschäftig-ung, un-glaublich, hinaus-gehen. Manchmal gibt es mehrere Möglichkeiten eine Wortbildungskonstruktion in unmittelbare Konstituenten aufzugliedern, z. B.: Briefträger – Brief-träger, Briefträg-er; drogensüchtig – drogen-süchtig, drogensücht-ig.

3. Transformationsanalyse ist eine notwendige Ergänzung der UK-Analyse. Sie besteht in Aufklärung der Wortmotivation und der semantischen Beziehungen innerhalb des Wortes, z. B.: erhärten = hart machen; blumengeschmückt = mit Blumen geschmückt; erreichbar = kann erreicht werden; Goldring = Ring aus Gold. Transformationsanalyse geht aus der Theorie von N. Chomsky und auf seine generative Grammatik zurück.

Im Deutschen werden folgende Wortbildungsarten unterschieden: Zusammensetzung (Komposition), Ableitung (Derivation), Abkürzung (Kurzwortbildung), Konversion (Wortartwechsel), Lautnachahmung (Onomatopoesie).

Zusammensetzung (Komposition) besteht darin, dass sich zwei oder mehr Wortstämme zu einer Worteinheit vereinigen und ist in der modernen deutschen Sprache sehr produktiv und verbreitet.

Grundprinzipien der Aufteilung von Komposita:

1. Das genetische Prinzip:

a) eigentliche (echte) Zusammensetzung ohne Bindeelement zwischen den Bestandteilen, z. B.: Neubauer, Leserbrief, Fremdwort, freiwillig;

b) uneigentliche (unechte, unproduktive) Zusammensetzungen, deren Komponenten durch ein Fugenelement(-(e)s-, -(e)n-, -e-, -nen-, -er-)verbunden sind, z. B.: Arbeit-s-plan, Bestimmung- s- wort, kind-er-leicht, Handel-s-verband, Zigarette-n-produzent;

2. Das morphologische Prinzip: die zusammengesetzten Wörter können einer beliebigen Wortart angehören. Die Zugehörigkeit der Zusammensetzung zu einer bestimmten Wortart hängt in der Regel vom zweiten Element ab, das die grammatische Charakteristik des ganzen Kompositums darstellt. Als erstes Element eines Substantivs kann, zum Beispiel, noch ein Substantiv (Silbermünze), Adjektiv (Graukopf), Verbalstamm (Schreibtisch), Zahlwort (Zweikampf), Pronomen (Ichform), Adverb (Voraussage) oder Präposition (Umwelt) auftreten.

3. Das syntaktisch-semantische Prinzip:

a) attributive Zusammensetzungen, bei deren die erste Komponente die zweite bestimmt, z. B.: Schwarzbrot, Tischlampe, Sonnenstrahl. Als eine besondere Art gehören hierher auch Bahuwrihi (aus der Sanskrit-Grammatik, bedeutet „ viel Reis besitzend “; ist ein Begriff, Possessivkompositum, das ein spezielles charakteristisches Merkmal des Referenten bezeichnet), wie z. B.: Graukopf, Rotkäppchen;

b) kopulative Zusammensetzungen, bei denen zwischen den Komponenten syntaktische Gleichberechtigung besteht, z. B.: Strichpunkt, taubstumm;

c) Zusammenrückungen– eine lockere Verbindung zweier oder mehrerer Elemente, manchmal sogar eines ganzen Satzes, z. B.: Vergißmeinnicht, Einmaleins. Solche Lexeme sind den entsprechenden syntaktischen Fügungen identisch, z. B.: Tischleindeckdich= Tischleindeckdich;

d) Zusammenbildungen, die als Resultat zweier Prozesse entstehen können der Zusammensetzung und der Ableitung (Suffigierung oder Substantivierung), z. B.: Frühaufsteher, rotwängig, das Türöffnen, Eisbrecher.

Ableitung (Derivation) geschieht in der deutschen Sprache durch:

a) explizite Derivation–Anhängen von Affixen (Suffigierung und Präfigierung);

b) implizite Derivation– Suffixloses Verfahren (Wortartwechsel oder Konversion), manchmal begleitet von Veränderung der Wortwurzel durch innere Flexion (Umlaut, Brechung, Ablaut).

Explizite Derivation. Affixe (Präfixe und Suffixe) sind wortbildende Morpheme, die eine neue Bedeutung des Gefüges entstehen lassen. Das Suffix trägt mehr Information, denn es verändert oft die Zugehörigkeit des Wortes zur Wortart.Manchmal treten sie in einem Wort zusammen auf (präfixal-suffixale Ableitungen).

Die Affixe werden auf Grund verschiedener Prinzipien klassifiziert:

1. Genetischer Prinzip (nach der Herkunft):

a) Affixe, die aus selbständigen Wörtern entstanden sind, z. B. Suffix -lich, der aus dem ahd. Substantiv lihhi (“Körper”, “Gestalt”) stammt; so bedeutet freundlich “derjenige, der die Gestalt des Freundes hat”;

b) Affixe, die sich infolge der Neuverteilung der Stämme entwickelt haben, z. B.: Suffixe der Substantive (-ling, -ler, -ner, -aner, -ianer, -keit, -igkeit, -elei,-erei); das Suffix der Adjektive - ern;Suffixe der Verben(-ern, -eln, -sen, -zen, -igen (flüstern, lächeln, grinsen, piepsen, duzen, kreuzigen);

c) Affixe, die aus Fremdsprachen entlehnt sind: Präfixe a-, re-, anti-, neo-, e-, erz-, in- (z. B.: indiskret, rekonstruieren, Antithese, apolitisch, Erzbischof, enorm, Neorealismus) und Suffixe -et, -at, -ot, -it, -ent, -log, -soph, -arch, -and, -tion, -eur, -ist, -ismus (z. B.: Poet, Patriot, Philolog, Monarch, Diplomand, Ingenieur, Russizismus).

2. Morphologischer Prinzip unterscheidet Suffixe und Präfixe verschiedener Wortarten:

a) Nominalpräfixe, die Substantive sowie Adjektive bilden: un-, ur-, erz-;

b) Verbalpräfixe: be-, er-, ver-, zer-, ent, emp-;

c) Präfixe der Substantive, Adjektivesowie auch Verben: ge-, miss-;

d) Suffixe der Substantive: -er, -in, -ung, -schaft, -nis, -tum, -heit, -keit, -ei/-erei, -ler, -ling;

e) Suffixe der Adjektive: -ig, -lich, -bar, -haft, -sam, -isch;

f) Suffixe der Verben: -en, -eln, -ern, -sen, -zen, -igen, -ihren.

3. Semantischer Prinzip:

a) Bildung von Personenbezeichnungen (nomina agentis): -er, -ler, -ner, -ling, -in, -or, -log, -ist, -at;

b) Abstammungsbezeichnungen: -ner, -aner,-er, -e, -in;

c) Kollektivbezeichnungen: -tum, -schaft, -ei;

d) Zustandsbezeichnungen: -schaft, -heit, -keit;

e) abstrakte Begriffe: -heit, -nis, -ung, -schaft;

f) Bezeichnung der Handlung/der Tätigkeit: -ung, -ing, -nis, -erei, -tion;

g) Bezeichnung des Handlungsortes: -erei;

h) Bezeichnung des Resultats der Handlung: -ung, -nis, -tion;

i) die Gegenstandsbezeichnung: -er, -ling, -ung;

j) diminutive Suffixe: -chen, -lein, -el, -erl.

4. Historischer Prinzip:

a) unproduktive Suffixe und Präfixe, mit deren Hilfe keine neuen Wörter gebildet werden: -t, -de, -end, -el, -sal, -sel, -rich; Aber-, dar- (z. B.: Kunst, Behörde, Gegend, Gürtel, Schicksal, Rätsel, Enterich, darstellen, abergläubisch);

b) produktive Suffixe und Präfixe, die neue Wörter in der Gegenwartssprache bilden: -er, -ler, -ling, -ung, -schaft, -heit, -erei, -nis, -chen (Substantive); -lich, -ig, -bar, -haft (Adjektive); be- ge-, er-, ver-, zer-, ent-, emp-, miss-; an-, auf-, aus-, zu-, mit- (Verben);

c) Halbaffixe und Komponente mit hoher Frequenz.

Halbsuffixe und Halbpräfixeentstehen infolge der Entsemantisierung der entsprechenden Wörter, die noch gleichzeitig als selbständige Wörter existieren, z. B.: -mann, -werk, -zeug, -fach, -voll, -arm, -werk, -gemäß, -los; zusammen-, herum-, herunter-, Bomben-, Höllen-. Die Halbaffixe werden auch “Affixoide” oder“relative Affixe” genannt.Unter den Komponenten mit hoher Frequenz werden erste und zweite Komponenten der determinativen Komposita verstanden, die in großen Serien von Lexemen erscheinen, weisen aber, im Vergleich zu den Halbaffixen, keine oder geringe Bedeutungsverschiebung auf, z. B.: -heben, -halten, -stehen, -wollen, -legen, -bleiben, -stelle, Nicht-.

Implizite Derivation (Konversion) besteht in Überführung eines Stammwortes in eine andere Wortart. Man unterscheidet zwei Konversionstypen:

1. Konversion ohne Basisänderung (syntaktische Konversion), z. B.: hoch – Hoch, fünf – Fünf, schreiben – Schreiben;

2. Konversion mit Basisänderung(lexikalische Konversion), z. B.: rufen – Ruf, weit – weiten, Geige – geigen.

Theoretisch kann solch ein Wechsel in jede Wortart geschehen, doch die häufigsten Erscheinungen sind:

· Substantivierung Übertritt eines Wortes in die Wortart Substantiv, z. B.: das Lernen, der Abgeordnete, das Rot, der Sprung, die Drei, das Ach;

· Adjektivierung Ableitung von Substantiven (ernst, schade, wert, laut), Adverbien (zufriedene Stimme, seltene Gabe), Partizipien (ausgezeichnete Leistung, ausgestellte Ware);

· Verbalisierung Anhängen des formbildenden Infinitivsuffixes -en an das Substantiv oder Adjektiv (filmen, salzen, kürzen, platten).

Kurzwortbildung (oder Abkürzung) in der deutschen Gegenwartssprache ist eine produktive Wortbildungsart in allen Kommunikationsbereichen. Kurzwortbildung besteht in der Verkürzung eines Wortes oder einer Wortgruppe auf die zum Verständnis unbedingt notwendigen Teile. Im Resultat der Kurzwortbildung entstehen Kurzwörter, die von Abkürzungen zu unterscheiden sind. Abkürzungen sind keine Wörter, denn sie sind schriftliche Zeichen, die nicht ausgesprochen werden.

Man unterscheidet folgende Modelle derAbkürzungen:

1. Buchstabenabkürzungen (Buchstabenwörter, Akronyme), z. B.: die BRD, die USA, ICE, DaF;

2. Lautabkürzungen (phonetisch gebundene Initialwörter) werden als ein phonetisches Wort gesprochen, z. B.: die NATO, die UNO, AIDS;

3. Silbenabkürzungen werden aus Anfangssilben der Wörter gebildet, z. B.: der Azubi, die Kripo, Nylon, die Stasi.

Man unterscheidet folgende Arten der Kurzwörter (Kontrakturen oder Klappwörter):

· Kopfwörter – wenn der Anfang des Wortes bleibt übrig, z. B.: Auto (Automobil), Labor (Laboratorium), Asi (Asozialer), Info (Information);

· Schwanzwörter – wenn das Ende des Wortes ist übrig geworden, z. B.: Bus (Omnibus), Rad (Fahrrad), Bahn (Eisenbahn);

· Klammerwörter (Kofferwörter, Portemanteau-Wörter oder auch Schachtelwörter genannt). Das sind Kunstwörter, die aus mindestens zwei Wortsegmenten bestehen, die zu einem inhaltlich neuen Begriff verschmolzen sind, z. B.: Brunch (breakfast + lunch), Denglisch (Deutsch + Englisch), Motel (Motor + Hotel), Smog (Smoke + Fog).

Es existiert auch ein Übergangstyp (der gemischte Typ), wenn das zweite Element der Zusammensetzung (das Grundwort) beibehalten wird, z. B.: U-Bahn (Untergrundbahn), U-Boot (Unterseeboot), NHO-Arzt (Nase, Hals, Ohren).

Lautnachahmung (Schallnachahmung) ist eine besondere Wortbildungsart, bei der die Wörter infolge der Nachahmung der Naturlaute entstehen. Lautnachahmende Wörter können verschiedenen Wortarten angehören. Am häufigsten entwickeln sich auf diese Weise Interjektionen, z. B.: Ach! Juchhe! Klatsch! Knacks! Plumps! Es sind auch eine Reihe Verben auf diese Weise entstanden, z. B.: klirren, krähen, piepsen, ticken, miauen. Es gibt auch lautnachahmende Substantive, z. B.: Kuckuck, Uhu, Krähe.

Manchmal wird die Lautnachahmung von der Gemination (Ver­doppelung oder Reduplikation) der Wurzel begleitet, das verstärkt den lautnachahmen­den Charakter des Wortes, z. B.: Töfftöff (scherzhafte Bezeichnung des Autos), Tacktacktack (Bezeichnung des Maschinengewehrs). Dabei findet manchmal der Stammvokalwechsel statt, z. B.: ticktack (Uhr), piff paff (Schuß eines Gewehrs).

 

Fragen zur Selbstkontrolle:

1. Was wird unter dem Begriff “Wortbildung” verstanden?

2. Wie ist der Unterschied zwischen dem Wortstamm und der Wortwurzel?

3. Welche Methoden der Wortbildungsanalyse kennen Sie?

4. Wodurch unterscheidet sich die Morphemanalyse von der UK-Analyse?

5. Worin besteht die Transformationsanalyse?

6. Welche Worttypen unterscheidet man im Deutschen?

7. Was wird unter impliziter und expliziter Ableitung verstanden?

8.  Worin bestehen Suffigierung und Präfigierung?

9. Was gehört zu “innerer Flexion” im Deutschen?

10. Was für ein Unterschied besteht zwischen dem Ablaut und dem Umlaut?

11. Nennen Sie die wichtigsten Suffixe und Präfixe verschiedener Wortarten.

12.  Was wird unter dem Terminus “Konversion” verstanden?

13.  Worin besteht die Zusammensetzung?Welche Arten der zusammengesetzten Wörter kennen Sie?

14.  Was bedeuten eigentliche und uneigentliche Komposita?

15. Wie unterscheiden sich Zusammenrückungen von Zusammenbildungen?

16.  Was wird unter Abkürzungen verstanden und welche Arten von Kurzwörtern gibt es?

17. Was versteht man unter Halbaffixen?

18. Was für eine Wortbildungsart ist “Lautnachahmung”?

 

PHRASEOLOGIE

Phraseologismus gilt als Oberbegriff für viele Klassen von festen Wortverbindungen (Idiome, Kollokationen,Sprichwörter, Redewendungen, Funktionsverbgefüge, geflügelte Worte).

Unter wichtigsten Merkmalen der Phraseologismen sind folgende zu unterscheiden:

a) Polylexikalität – semantisch gesehen werden sie als eine lexikalische Einheit verstanden und bestehen aus mehr als einem Lexem;

b) Reproduzierbarkeit – Phraseologismus wird als eine Ganzheit empfunden und im Sprechakt realisiert;

c) Stabilität – die Struktur der Phraseologismen bleibt unverändert;

d) Idiomatizität – die Bedeutung der Phraseologismen entspricht der Bedeutung ihrer Bestandteile nicht (oder nur teilweise).

Klassifikationen der festen Wortkomplexe:

1. Semantische Klassifikation von V. V. Vinogradov:

· Idiome (phraseologische Zusammenbildungen) – sind völlig unmotiviert, z. B.: baden gehen (scheitern), ins Gras beißen (sterben);

· Phraseologische Einheiten – können entweder in der Form von phraseologischen Zusammenbildungen oder auch als freie Wortverbindungen auftreten, z. B.: den Mund halten (schweigen), altes Haus (guter Freund);

· Phraseologische Verbindungen – bestehen aus einem Funktionsverb und einem Verbalsubstantiv, z. B.: etwas zur Diskussion stellen (etwas diskutieren).

2. Lexikalisch-syntaktische Klassifikation von T. Schippan:

· Phraseologische Ganzheiten – Umdeutungen eines Ausdrucks, der auch als freie Verbindung möglich ist, z. B.: jmdm. einen Korb geben (jmd. ist bei einem Liebes- oder Heiratsantrag abgewiesen), ein Kuckucksei ins Nest legen (jmdm. etwas Unangenehmes tun);

· Feste Verbindungen – feste Wortkomplexe, bei denen einige Komponente übertragene Bedeutung haben, die anderen sind aber wörtlich zu verstehen. Sie sind weiter in feste Verbalverbindungen (z. B.: Antwort geben, in Aufregung geraten) und feste Nominalverbindungen (z. B.: schwarzer Tee, sauberer Charakter) eingeteilt.

Weitere Klassen von Phraseologismen:

Kollokationen – Wortverbindungen, die häufig zusammen auftreten, z. B.: hoher Berg, gesammelte Werke;

Routineformeln – situative Stereotype in bestimmten pragmatischen Situationen, z. B.: guten Morgen, guten Tag, Zähne putzen;

Strukturierende Phraseologismen – Wortverbindungen, die bei der Gestaltung eines Textes helfen, z. B.: in erster Linie, anschließend, zum Schluss;

Geflügelte Worte – Zitate, bekannte Ausdrücke, z. B.: Reden ist Silber; Perlen vor die Säue werfen;

Sprichwörtliche Satzredensarten (z. B.: Da liegt der Hund begraben, Viel Geschrei und wenig Wolle) und Sprichwörter (z. B.: Es ist nicht alles Gold, was glänzt);

Kinegramme– konventionalisierte Verbalisierungen von nonverbalem Verhalten, d. h. konkrete Beschreibungen, die der Hörer kennen muss, um sich das gemeinte nonverbale Verhalten bildlich vorstellen zu können, z. B.: die Achseln zucken, den Mund nichtaufbekommen;

Modellierte Bildungen – entstehen in der Sprache nach bestimmten strukturell-semantischen Modellen, die in der Rede situativ realisiert werden. Sie existieren als bestimmte syntaktische Gebilde mit einer typisierten Semantik, z. B. das Modell “Substantiv + hin, Substantiv+ her”: Geld hin, Geld her. Freund hin, Freund her. Oder das Modell “Es ist (war) zum + substantivierter Infinitiv”: Es ist zum Lachen! Es ist zum Heulen! Es ist zum Verrücktwerden!

Es gibt vier Arten der Übersetzung von festen Wortverbindungen:

1. Wortgenaue Übersetzung, z. B.: lat. O, tempora! O, mores!, dt. O, Zeiten! O, Sitten!, rus. О, времена! О, нравы!. Diese Art ist fast ausschließlich für geflügelte Worte kennzeichnend;

2. Äquivalent–genaue Übersetzung, z. B.: aus dem Finger saugen – высосатьизпальца, in die Augen fallen – бросатьсявглаза;

3. Äquivalent–ungenaue Übersetzung, z. B.: Eulen nach Athen tragen – ехатьвТулусосвоимсамоваром;

4. umschreibende Übersetzung, z. B.: Schwein haben – иметьудачу, etwas um ein Butterbrot kaufen – купитьзабесценок.

Phraseologische Synonymie ist eine bedeutende Kategorie der deutschen Phraseologie. Phraseologische Synonyme können folgender Art sein:

a) sinngleich (absolut), z. B.: das Pferd beim Schwanz aufzäumen = den Aal beim Schwanz fassen (eine Sache verkehrt anfangen). Absolute Synonyme können:

– gleich strukturiert sein, z. B.: in die Pilze gehen (ertrinken) vs. in die Nüsse gehen (verlorengehen) vs. in die Binsen gehen (verschwinden);

– verschieden strukturiert sein, z. B.: einen Vogel haben vs. nicht alle Tassen im Schrank haben vs. bei jmdm. spukt es im Kopf (nicht recht bei Verstand sein);

b) ideografisch (begrifflich), z. B.: einen Affen sitzen haben („betrunken sein“) vs. einen (kleinen) Aal sitzen haben („leicht betrunken sein“);

c) stilistisch, z. B.: die Augen schließen (gehoben) vs. für ewig einschlummern (gehoben) vs. ins Greis beißen (grob) in Bedeutung “sterben”.

Phraseologische Synonyme haben eine Besonderheit: in der synonymischen Reihe fehlt die Dominante.

Bei der phraseologischen Antonymie geht es um eine gegensätzliche lexikalische Bedeutung, z. B.: ein warmes Herz haben (liebevoll sein) vs. ein kaltes Herz haben (gefühllos sein). Phraseologische Antonyme sind nicht frei modellierbar, z. B.: jmdm. die Hände binden vs. j-m die Hände lösen.

Fragen zur Selbstkontrolle:

1. Was wird unter dem Terminus “Phraseologie” verstanden?

2. Welche Merkmale weisen die Phraseologismen auf?

3. Welche parallelen Termini gibt es zur Bezeichnung von Phraseologismen?

4. Welche Klassen von Phraseologismen unterscheidet T. Schippan?

5. Was versteht man unter “phraseologischen Einheiten”?

6. Was versteht man unter “festen Verbindungen”?

7. Wodurch unterscheiden sich Sprichwörter von den sprichwörtlichen Satzredensarten?

8. Was wird unter “geflügelten Worten” verstanden?

9. Welche Art der Synonymie dominiert unter Phraseologismen?

10.  Was versteht man unter “phraseologischer Antonymie”?

 

LEXIKOGRAPHIE

Lexikographie ist die Lehre von der Wörterbuchschreibung.

Ein Wörterbuch ist ein Nachschlagewerk, das Wörter oder andere sprachliche Einheiten in einer meist alphabetisch sortierten Liste verzeichnet und jedem Eintrag (Lemma) erklärende Informationen oder sprachliche Äquivalente zuordnet. Der Ausdruck Wörterbuch ist eine durch das Niederländische woordenboek beeinflusste Lehnübersetzung des griechischen Wortes lexikon. Bis ins 17. Jahrhundert hinein wurden die Begriffe “Lexikon” und “Dictionarium” bevorzugt verwendet; dann trat “Dictionarium” zugunsten der neu eingeführten Übersetzung “Wörterbuch” (auch Wortbuch) zurück; der Begriff “Lexikon” blieb erhalten und wird jetzt eher als Synonym für „Enzyklopädie“ verwendet.

Es gibt drei historische Abschnitte in der Geschichte der Wörterbuchschreibung in Deutschland:

a) XV-XVI Jh. – die deutsche Volkssprache wird zum Gegenstand der Wörterbucharbeit;

b) XVII-XVIII Jh. – das große deutsche Wörterbuch wird angestrebt;

c) XIX – erste Hälfte des XX Jh. – ist geprägt durch “Das Deutsche Wörterbuch” vonJ. und W. Grimm (erste Lieferung – 1854). Im Jahre 1880 erschien “Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache” von Konrad Duden (spätere Ausgaben wurden von der Dudenredaktion in Mannheim unter dem Titel “Die deutsche Rechtschreibung” herausgegeben).

Wörterbuchtypologie. Klassifizierung von Wörterbüchern ist ein Gegenstand und ein großes Problem der Lexikographie. Die Wörterbücher der deutschen Sprache lassen sich in mehrere Gruppen unterteilen:

1. Nach dem Informationstyp:

· Sachwörterbücher (Fachlexika): Meyers Großes Konversations-Lexikon (6. Auflage, 1905–1909), Pierer’s Universal-Lexikon (4. Auflage, 1857–1865);

· Sprachwörterbücher: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache von R. Klappenbach und W. Steinitz (1964 – 1977), Deutsches Wörterbuch von G. Wahrig (1986), Duden – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache (4. Auflage in 10 Bänden, 2012), Duden Deutsches Universalwörterbuch(8. Auflage, 2015), LangenscheidtsGroßwörterbuch Deutsch als Fremdsprache(1993);

2. Nach der Zahl der Sprachen:

· einsprachige Wörterbücher: Deutsches Universalwörterbuch Duden (8. Auflage, 2015), LangenscheidtsGroßwörterbuch Deutsch als Fremdsprache(1993);

· zweisprachigeWörterbücher: Большой немецко-русский словарь (под ред. О. И. Москальской в 2 т., 1980);

· mehrsprachliche Wörterbücher: Sieben-Sprachen-Wörterbuch. Deutsch, Polnisch, Russisch, Weißruthenisch, Litauisch, Letttisch, Jiddisch (1918), I. J. Schmidt Mongolisch-Deutsch-Russisches Wörterbuch (1835).

3. Nach dem Anordnungs- und Darstellungsprinzip:

· alphabetische Wörterbücher: Duden – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache (4. Auflage in 10 Bänden, 2012), Duden Deutsches Universalwörterbuch (8. Auflage, 2015), LangenscheidtsGroßwörterbuch Deutsch als Fremdsprache(1993);

· nicht-alphabetische Wörterbücher: G. Muthmann Rückläufiges deutsches Wörterbuch (3. Auflage, 2001); Das Bildwörterbuch DUDEN (6. Auflage, 2005).

4. Nach dem Zeitausschnitt: synchrone vs. diachrone Wörterbücher – Wörterbücher, die die Herkunft des Wortes und seine Entwicklungsgeschichte angeben:

· etymologische Wörterbücher: DUDEN Herkunftswörterbuch (1989), Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache von Friedrich Kluge (Erstauflage 1883; 25. Auflage de Gruyter, 2011);

· historische Wörterbücher: Deutsches Wörterbuch von Herman Paul (1897 – 1993).

5. Nach dem Umfang:

· Handwörterbüch er, die ursprünglich dafür konzipiert wurden, dem Benutzer als ständiges Nachschlagewerk am Arbeitsplatz zur Verfügung (zur Hand) zu stehen;

· Taschenwörterbüch er, die ursprünglich praktisch in einer Tasche mitgebracht werden sollten; sie versuchen daher in kleinem Format ein Höchstmaß an Informationen zu bieten;

· Großwörterbücher als die umfangreichsten Sprachwörterbücher, die zum Teil in mehreren Bänden erscheinen.

6. Nach dem Wortschatzsegment und Zweck:

· allgemeine Wörterbücher;

· Spezialwörterbücher: Es gibt bereichsspezifische, fachsprachliche Wörterbücher vor allem für Jura, Medizin, Biologie, Elektronik und Architektur, z. B.: П. И. Гришаева, М. Беньямина Немецко-русский юридический словарь (2000);

7. Weitere Arten der Wörterbücher sind:

· Sachgruppenwörterbücher (ideographische Wörterbücher): F. Dornseiff Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen (8. Auflage, 2004);

· Fremdwörterbücher: Deutsches Fremdwörterbuch in 7 Bänden (de Gruyter, 1913 – 1988);

· Umgangssprachewörterbücher: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache von Heinz Küpper (1987); E. H. M. Gilissen German Slang – The real German (2007); Wörterbuch der Jugendsprache (2009);

· Variantenwörterbücher: Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol von U. Ammon, H. Bickel (Berlin, 2004);

· Synonymenwörterbücher: DUDEN das Synonymwörterbuch (2014);

· Phraseologische Wörterbücher: БиновичЛ. Э. Немецко-русскийфразеологическийсловарь (1995), PONS Redewendungen: Wörterbuch der deutschen Idiomatik (2012);

· Wörterbücher, die den Lautbestand und die Rechtsschreibung der Wörter angeben:

Aussprachewörterbücher: Das Aussprachewörterbuch DUDEN (6. Auflage, 2005); G. Muthmann Phonologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (1996);

Rechtschreibungswörterbücher: Orthographisches Wörterbuch von Konrad Duden (Erstauflage 1880; mittlerweile in 26. Auflage – 2013);

· Wörterbücher, die Informationen zum morphologischen Aspekt der Sprachzeichen vermitteln:

Homonymen-Wörterbücher: Vogel Homonymen-Wörterbuch (1979);

Valenzwörterbücher: Gerhard und Wolfgang Schenkel Wörterbuch zur Valenz und Distribution deutscher Verben (7. Auflage, 1983);

· Abkürzungswörterbücher (ein spezieller Wörterbuchtyp, der eine getroffene Auswahl von Abbreviationen, Zeichen, Symbole und andere Beschreibungsmittel enthält): Das Abkürzungswörterbuch von H.-B. Menzel (1990);

· Bildwörterbücher: Das Bildwörterbuch DUDEN (6. Auflage, 2005).

Seit den 1980er Jahren werden Wörterbücher auch in digitaler Form verbreitet. Dabei ist zu unterscheiden, ob die Daten vervielfältigt werden oder ob sie in einem zentralen Speicher vorliegen:

1. als Elektronisches Wörterbuch wird ein Wörterbuch bezeichnet, das auf reproduzierbare elektronische Datenträger, vor allem CD-ROM und DVD, gebracht und verbreitet wird;

2. Online-Wörterbücher sind digital erfasste Nachschlagewerke, die auf einem zentralen Datenspeicher vorliegen und nur online über das Internet abgefragt, teilweise auch bearbeitet werden können.

 

Fragen zur Selbstkontrolle:

1. Was bedeutet das Wort “Lexikographie”?

2. Womit befasst sich Lexikographie?

3. Welche Typen der Wörterbücher gibt es?

4. Welche Wörterbücher der deutschen Sprache kennen Sie?

5. Welche historischen Abschnitte unterscheidet man in derGeschichte der deutschen Lexikographie?

 


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